Leseprobe:

Es war einmal ein kleines Segelboot, namens Johnatan. Ein trauriges kleines Segelboot. Traurig, weil es kein Segel hatte, keinen Kapitän und schon sehr, sehr lange niemand mehr mit ihm hinaus auf den See gefahren war. Immer wenn Johnatan weinte blätterte ein Stück Farbe von ihm ab, so dass sein Name, der bei Schiffen immer am Bug geschrieben steht, kaum noch zu lesen war. Wasser stand in seinem Inneren und dass er früher einmal blau gestrichen war, konnte man nur noch erahnen. Johnatan’s Takelage war brüchig und nicht mehr vollständig. Er sah sehr, sehr traurig aus. 

Das kleine Segelboot lag seit vielen Jahren ganz allein am Ufer eines kleinen Sees, in dessen Mitte eine fast winzige Insel aus dem Wasser schaute. Etwas von Johnatan entfernt, durch einen hohen Zaun von ihm getrennt, war ein Bootshaus, eine Anlegestelle und viele große und kleine Segelboote. Sie alle waren weiß gestrichen, hatten große schneeweiße Segel und sie glänzten so sehr in der Sonne, dass Johnatan ganz geblendet war, immer wenn er zu ihnen hinüber schaute. Sie waren so schön, dass Johnatan sich nicht traute, mit ihnen zu reden, denn er schämte sich, weil er so hässlich aussah. Er wollte auch so schön sein wie sie. Er wollte auch weit auf den See hinausfahren und Abenteuer erleben. Wenn Johnatan ganz still war, konnte er sie reden hören. Sie prahlten mit ihrer Schönheit und versuchten, sich mit ihren phantastischen Erlebnissen zu übertrumpfen. Besonders gern verspotteten sie das kleine Segelboot: “Johnatan, alter Kahn, hast ja gar kein Segel dran! Johnatan, alter Kahn, du liegst hier und wir können fahrn! Johnatan, alter Kahn, dich will niemand ham.“ Immerwenn die schönen Boote dieses Lied sangen wurde Johnatan so traurig, dass wieder ein großes Stück Farbe von seinem Rumpf abblätterte.

 

Seine einzige Freude waren die Kinder, die mochten Johnatan, denn mit ihm konnte man ganz wunderbar spielen. Die schönen Schiffe konnten Kinder nicht leiden, sie sagten, dass diese Rabauken alles schmutzig und kaputt machen würden, deshalb waren sie auch froh, dass es den Zaun zwischen ihnen und Johnatan gab, der die Kinder von ihnen fern hielt. Das kleine Segelboot liebte Kinder, ihnen war es egal, dass Johnatan nicht schön war.

 

Nach der Schule kamen sie immer an den See und banden zum Beispiel ein altes Betttuch als Segel an seinen Mast und fuhren zur kleinen Insel hinüber und spielten dabei Piraten, Indianer oder Seeschlacht. Ein Mädchen von etwa 13 Jahren mochte Johnatan am liebsten, denn sie wusste immer die spannendsten Spiele, ihr Name war Tschipka. Jede freie Minute war sie bei Johnatan, und so oft es ihre Eltern erlaubten, verbrachte Tschipka die Nacht auf ihm. Die beiden ruderten dann zur Insel hinüber, Tschipka machte ein Lagerfeuer, schaute in die Sterne und sie erzählte von Abenteuern, die sie zusammen erleben würden, von fernen Ländern, hohen Wellen, geheimnisvollen Stränden. Johnatan knackte dann mit den Planken und dem Mast, quietschte mit der Takelage. Tschipka hörte ihm zu und verstand ihn. So schliefen die beiden glücklich ein. Doch leider war es nur im Sommer so schön.

 

Denn als die Tage kürzer wurden, die Bäume bunt und der Wind kalt, kamen die Kinder nicht mehr zum Spielen, auch Tschipka nicht. Das kleine Segelboot war wieder ganz allein und traurig. Die schönen Schiffe wurden nun eines nach dem anderen ins Bootshaus gebracht, wo sie es im Winter warm hatten, wo sie repariert und aufgearbeitet wurden. Johnatan hörte draußen ihr Spottlied: „Johnatan, alter Kahn, dir ist kalt und uns ist warm! Johnatan, alter Kahn, hast ja gar kein Segel dran! Johnatan, alter Kahn, dich will niemand ham!“

 

Dabei war er noch gar nicht so alt, jedenfalls nicht für ein Boot. Er sah nur so aus, weil sich seit langer Zeit niemand mehr richtig um ihn gekümmert hatte. Aber dass ihm kalt war, das stimmte.

 

 Alle Blätter waren von den Bäumen gefallen, und der erste Schnee fiel. Er fror ganz schrecklich und auch die Enten, die bei ihm Schutz vor dem eisigen Wind suchten, froren bitterlich. Bald hatte der Schnee alles zugedeckt und auf dem See bildete sich eine dünne Haut aus Eis. Diese streichelte Johnatan sanft, wenn das Wasser sich leicht bewegte. Als das Eis dicker wurde, kitzelte es. Bald umschloss eine Eisschicht das kleine Segelboot, es war als ob der Winter ihn in die Arme nehmen wolle. Noch war es angenehm, doch das Eis wurde immer noch dicker und es begann, beklemmend zu werden, ja, langsam tat es richtig weh. Das Eis drückte gegen Johnatans Rumpf immer stärker und stärker. Er stemmte sich so stark er nur konnte gegen das Eis, so sehr, dass seine Planken laut knackten und fast zu zerbrechen drohten. Aber das Eis wurde noch dicker, Johnatan musste sich mehr und mehr anstrengen, um nicht zerdrückt zu werden. Langsam verließen ihn seine Kräfte, und als er schon fast aufgeben wollte, da musste er plötzlich an die schöne Zeit mit Tschipka denken, wie traurig sie sein würde, wenn er nicht mehr da wäre. Das kleine Boot nahm alle Kraft zusammen, drückte, drückte und drückte, wirklich, er widerstand dem Eis. Er dachte an die Kinder und wie schön es war mit ihnen zu spielen, an die warme Sommersonne und an die Wellen, die ihn sanft in den Schlaf wiegten. So schlief er erschöpft ein.

Johnatan wachte erst im Frühjahr wieder auf, als die warme Sonne ihn kitzelte und ein paar Kinder auf ihm herum tollten. Der folgende Sommer verging viel zu schnell, mit spielen, toben und Tschipka’s wunderbaren Geschichten, aber auch mit den Spottliedern der anderen Boote und einigen abgeblätterten Stücken Farbe.

Als die Blätter der Bäume wieder bunt wurden und schon einige der schönen Schiffe im Bootshaus waren, geschah etwas eigenartiges. Zwei große Männer kamen, schlichen um Johnatan herum, musterten ihn von oben bis unten und klopften ihn sogar ab, dabei sprachen sie in einer fremden Sprache,  so dass das kleine Segelboot nicht verstehen konnte, was sie sagten. Er bekam es mit der Angst zu tun. Was wohl mit ihm geschehen würde? Doch ehe er sich versah, hoben die beiden Männer ihn aus dem Wasser und brachten ihn ins Bootshaus zu den anderen Schiffen.

Dort war es zwar warm, aber ihm war es trotzdem unbehaglich, weil er nicht wusste, was mit ihm geschehen würde und weil die anderen ihn böse anstarrten und leise tuschelten. Er war so verängstigt, dass er es nicht wagte, auch nur einen Ton zu sagen. Den ganzen Winter arbeiteten die zwei Männer an Johnatan, sie erneuerten seine morschen Planken, verspachtelten kleine Löcher und Fugen, schliffen seine alte Farbe ab und das raue Holz glatt. Die Männer strichen ihn weiß, lackierten ihn und zum Schluss schrieben sie seinen Namen in großen Buchstaben an seinen Bug. Aber das Schönste war, er bekam auch ein Segel, ein großes schneeweißes Segel. Er konnte sein Glück kaum fassen, endlich, ein richtiges Segel. Nachts erzählten sich die anderen Boote, was sie im Sommer erlebt hatten, Johnatan hörte ihnen gespannt zu. Glücklich und zufrieden schlief er ein, denn endlich war er so wie sie, ein schönes Segelboot.

Als es Frühling wurde brachten die Männer alle Boote nach draußen. Johnatan lag jetzt zwischen all den anderen, die er früher immer nur von ferne heimlich bewundert hatte. Er war schon sehr gespannt darauf, was jetzt weiter mit ihm geschehen würde. Was werden die Kinder zu ihm sagen, zu seinem schönen neuen Segel? Besonders freute er sich auf Tschipka und auf das Spielen mit ihr. Das kleine Segelboot war so glücklich. Er bemerkte nicht, dass die anderen Schiffe nun gar nicht mehr mit ihm redeten. Sie sangen nicht mal mehr ihr Spottlied, so neidisch waren sie auf ihn. Denn immer wenn Menschen vorüber gingen hatten die nur Augen für Johnatan.

 Sie blieben vor ihm stehen und sagten immer wieder wie schön er sei, doch ihm war das egal. Er wollte endlich auf den See hinaus fahren und mit den Kindern und Tschipka Abenteuer erleben.

 Doch die Kinder kamen nicht, sie standen am Zaun und schauten zu den Segelbooten herüber, nachdem sie Johnatan vergeblich überall am Ufer gesucht hatten. Aber wie sollten sie ihn auch erkennen? Er sah doch jetzt ganz anders aus, traurig gingen sie fort. Tschipka ging immer wieder an die Stelle am Ufer, an der Johnatan noch im Sommer gelegen hatte. Sie konnte sich nicht erklären, was geschehen war. Wo konnte er nur sein? Wenn sie sich daran erinnerte, wie viel Spaß das Spielen mit dem kleinen Segelboot gemacht hatte, musste sie weinen.

Johnatan bemerkte von alledem nichts. Er war zu weit von seinem alten Liegeplatz entfernt. Statt der Kinder kamen ein dicker Mann und eine Frau mit blonden Haaren, die verhielten sich sehr merkwürdig. Sie zogen ihre Schuhe aus, als sie an Bord gingen, das kannte Johnatan nicht. Sie putzten und polierten, lobten immer wieder seine Schönheit. Aber endlich nach einer ganzen Weile machte der dicke Mann die Leinen los und hisste das Segel. Was war das für ein tolles Gefühl, den Wind zu spüren und die Wellen, die gegen den Bug klatschten. Sie fuhren um die kleine Insel im See, das machte Spaß. Plötzlich blies der Wind stärker, das Segel blähte sich auf, die Wellen schlugen heftig gegen den Bootsrumpf. Jetzt war Johnatan erst richtig in seinem Element, jetzt konnte er endlich einmal zeigen, wie gut er segeln kann. Der Wind wurde noch stärker, sie wurden immer schneller und schneller. Vor lauter Freude und Übermut legte sich Johnatan richtig in den Wind, bis er ganz schräg im Wasser lag. Plötzlich fing die blonde Frau zu schreien an: “Nicht so schnell Hilfe... Hilfe... wir kentern! „

Der dicke Mann drehte sofort das Segel aus dem Wind, nun wurden sie langsamer. Johnatan war enttäuscht, es hatte doch gerade angefangen so richtig Spaß zu machen. Die blonde Frau schimpfte jetzt so lange mit dem Mann, bis der zurück fuhr. Das kleine Segelboot verstand gar nicht warum. Als sie wieder an der Anlegestelle waren, begannen die beiden wieder zu putzen. Die Frau wischte das Wasser auf, das hineingeschwappt war, der Mann rollte das Segel ein und zog eine Schutzhülle darüber. Als sie damit fertig waren, zogen sie noch eine große Plane über Johnatan, so dass von ihm fast gar nichts mehr zu sehen war.

So wartete er eine ganze Weile gespannt darauf, was wohl weiter geschehen wird. Johnatan versuchte, sich mit den anderen Booten zu unterhalten, denn er war doch jetzt einer wie sie. Die anderen aber taten so, als hörten sie ihn nicht. Der dicke Mann und die blonde Frau kamen in der ersten Zeit noch oft zu ihm. Segelten auch hinaus, aber immer nur mit halben Segeln und bei wenig Wind. Später kamen sie immer seltener, fuhren auch nicht mehr raus, sondern putzten nur noch, oder die blonde Frau sonnte sich und der dicke Mann trank Bier. Irgendwann besuchten sie das kleine Segelboot gar nicht mehr. Johnatan lag zugedeckt unter der Plane und vermisste das Segeln so sehr, dass er wieder ganz traurig wurde. Seine einzige Beschäftigung war es, den anderen Booten zuzusehen, wie sie morgens auf den See hinaus fuhren und am Abend wieder zurück zur Anlegestelle kamen. Er dachte sehr oft an die Kinder und an Tschipka. Was und mit wem spielten sie wohl jetzt? Traurig ging dieser Sommer zu ende.

 Im Herbst wurde er wieder mit den anderen ins Bootshaus gebracht. Dort lag er und lauschte ihnen. Der Reihe nach erzählte jedes Boot spannende Geschichten über die Erlebnisse des Sommers. Selbst wenn jemand Johnatan gefragt hätte. Was sollte er erzählen? Er hatte ja nichts erlebt, was es sich zu erzählen gelohnt hätte. So verging der Winter und alle freuten sich auf den Sommer und auf das, was sie erleben würden. Auch das kleine Segelboot, denn dieses Jahr würde er bestimmt auch so aufregende Dinge wie die anderen erleben, ganz bestimmt. Dann würden sie mit ihm reden und seine Geschichten hören wollen.

Nach und nach wurden alle Schiffe raus ins Wasser gebracht, bis Johnatan nur noch ganz allein im Bootshaus war. Jetzt musste doch jemand kommen und auch ihn ins Wasser bringen, es war doch schon Frühling. Aber so lange er auch wartete, niemand kam. Das kleine Segelboot blieb den ganzen Sommer drinnen und wurde immer trauriger, so sehr, dass die Farbe anfing, von seinem Rumpf zu blättern. Er verstand nicht, warum er nicht nach draußen durfte.

So ging das wohl mehrere Jahre, und Johnatan wurde ganz schwach und krank, denn Segelboote brauchen Wasser, Sonne und den Wind zum Leben. Er lag allein in einer dunklen Ecke des Bootshauses. Seine einzige Gesellschaft im Sommer waren ein Paar Mäuse, die bei Johnatan eingezogen waren. Sie machten es sich in seinem Rumpf richtig gemütlich und bekamen sogar Kinder. Viele kleine Mäuse kletterten nun auf Johnatan umher, spielten Fangen und Verstecken. Abends erzählten die Mäuseeltern Geschichten, das kleine Segelboot hörte zu und musste bitterlich weinen. Er vermisste Tschipka so sehr. Mit der Zeit zernagten die Mäuse die Abdeckplanen, die Seile und das Segel, sie bauten daraus ihre Schlafstellen. Im Winter hörte er den Geschichten der anderen Boote zu und weinte ganz leise, damit ihn niemand hörte, und jedes Mal blätterte etwas Farbe von ihm ab. Bald sah er so alt und schäbig aus, wie damals, als er noch weit von den anderen Booten entfernt am Ufer lag und die Kinder jeden Tag kamen, um mit ihm zu spielen...................

 

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