Leseprobe:

Annas Augen strahlten vor Freude, als sie ihr letztes Geburtstagspäckchen voller Erwartung auspackte. Und tatsächlich  kamen ein Paar hellblaue, knöchelhohe, wunderbar glänzende, lacklederne Schnürschuhe zum Vorschein. „Genau die hab ich mir gewünscht, die gleichen hat Prinzessin Laura in meinem Buch auch. Danke Mammi!“ Fiel sie ihrer Mutter um den Hals.

Es war der Morgen an Annas achtem Geburtstag. Ihre Eltern hatten sich leise in Annas Zimmer geschlichen, vorsichtig die Geschenkepäckchen auf ihr Bett gelegt, sich an den Rand des Bettes gesetzt, und Anna mit einem Geburtstagslied geweckt.

„Na wenn es die richtigen sind, dann ist es ja gut,“ brummte Annas Vater. „Danke Papa!“ Anna drückte ihn fest. Schnell schlüpfte sie in ihre neuen Schuhe. „Sie sind soo schön und passen ganz toll.“ flunkerte sie, denn eigentlich waren sie ein gutes Stück zu groß. „Jetzt sehe ich aus wie Prinzessin Laura. Darf ich sie morgen in die Schule anziehen? Bitte, bitte, bitte!“ Ihr Vater warf einen hilflos fragenden Blick zu Annas Mutter hinüber. „Na gut, aber nur morgen, weil sie neu sind, sie sollen doch für besondere Anlässe bleiben! So, nun zieh dich aber schnell an, das Frühstück ist fertig, außerdem wartet unten deine Geburtstagstorte auf dich.“ Die Mutter lächelte und ging mit dem Vater aus dem Zimmer. Anna drapierte ihre Prinzessinnenschuhe, zusammen mit den anderen Päckchen, auf ihrem Geburtstagsgeschenketisch. Dann zog sie sich in Windeseile an und stürmte hinunter zum Frühstück.

 Am Nachmittag kamen Annas Freunde und Freundinnen, ihr Geburtstagstisch füllte sich mit Geschenken. Aber das schönste blieben doch die lackledernen, glänzenden, hellblauen Schuhe. Anna hatte sie in der Mitte des Tisches auf den Schuhkarton gestellt, so dass ihre neuen Schuhe über den anderen Geschenken trohnten. Es wurde ein schöner Sommertag, nicht zu heiß und nicht zu kalt, richtiges Geburtstagswetter. Anna tollte gemeinsam mit ihren Gästen den ganzen Tag auf der Wiese hinter dem Haus herum. Solange, bis es dunkel wurde und einer nach dem anderen nach Hause ging oder von den Eltern abgeholt wurde.

Als Anna in ihrem Bett lag, rief sie „Mama liest Du mir noch eine Geschichte vor?“ Ihre Mutter setzte sich an das Bett und fragte. „Welche Geschichte soll es denn sein, meine Große?“ „Prinzessin Laura, Prinzessin Laura!“ jubilierte Anna. „Schon wieder? Die musst Du doch schon auswendig kennen.“ „Ach bitte, Mama. Ich hab doch Geburtstag“ „Na also schön.“ stöhnte Annas Mutter. Sie nahm das Buch, das immer griffbereit auf dem Nachttisch lag und begann zu lesen „Die Abenteuerliche Geschichte der Prinzessin Laura“

Am Ende der Geschichte sprachen Anna und ihre Mutter im Chor „Und wenn Sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute!“ „So, jetzt wird aber geschlafen, denn morgen früh geht es wieder in die Schule.“ Annas Mutter zupfte noch die Bettdecke zu recht und gab ihrer Tochter einen dicken Schmatz auf die Wange. „Mama, das war ein schöner Geburtstag, aber das tollste Geschenk  sind meine Prinzessin-Laura-Schuhe.“ Rief Anna ihrer Mutter nach, die das Licht ausgemacht hatte und sich in der Tür stehend noch einmal umdrehte. „Gute Nacht, und träum was Schönes.“ Flüsterte sie und ließ wie immer die Tür einen Spalt offen stehen, so dass etwas Licht aus dem Flur in Annas Zimmer fiel.

Nachdem im Flur kein Geräusch mehr zu hören war, schlich sich Anna  leise aus dem Bett, nahm die Prinzessin-Laura-Schuhe und stellte sie vorsichtig auf ihren Nachttisch. Sie betrachtete zufrieden lächelnd ihre neuen Schuhe, durch das ins Zimmer fallende Flurlicht beleuchtet, umgab sie ein  fast magischer Schein. Es dauerte aber nicht lange bis Anna die Augen zufielen.

„Sieh nur, Lituff, sie ist eingeschlafen.“ sagte Tuffli, der linke Schuh zu ihrem Bruder, dem rechten Schuh. „Sie sieht nett aus.“

 „Ja, sehr nett. Nun werden wir immer mit ihr zusammen sein. Und mich wird sie lieber anziehen als dich, denn Mädchen halten zusammen.“ Brüstete sich Tuffli. „Gar nicht, mich wird sie lieber anziehen, denn ich kann schneller laufen als du und Fußball spielen kann ich auch!“ „ Pah Fußball, du hast doch gehört, wir sind  Prinzessinnen-Laura-Schuhe. Die tanzen und schreiten, das kannst du nicht, außerdem bin ich viel klüger als du!“ Sie wedelte mit den Schnürsenkeln und steckte ihrem Bruder ihre lange Zunge entgegen. „Gar nicht, du Mädchen, mich wird sie lieber anziehen!“ Lituff gab seiner Schwester einen Stups, die ließ sich das nicht gefallen und schubste zurück „Mich hat sie lieber!“ „Nein mich!“ Lituff schubste heftiger. „Hör auf, das tut weh!“ Tuffli knuffte ihren Bruder mit aller Kraft. Da stieß Lituff seine Schwester so stark, dass sie mit einem lauten Poltern vom Nachtisch fiel.

 

Plötzlich stand Annas Mutter im Zimmer. “Schläfst Du?“ flüsterte sie und trat ans Bett. Anna schlief tief und fest. „Komisch, was war denn das für ein Poltern?“ Da fiel ihr Blick auf Tuffli, sie hob den Schuh vom Fußboden auf, nahm auch den anderen und stellte die  beiden auf Annas Geschenketisch. „Aber verwunderlich ist es doch!“ dachte sie und schloss leise die Tür.

 

„Blöder Lituff!“ Tuffli schluchzte und drehte ihrem Bruder den Rücken zu. „Das hab ich nicht gewollt.“ entschuldigte der sich leise und legte vorsichtig einen Schnürsenkel um seine Schwester. „Tut’s weh?“ „Nee!“ schniefte Tuffli und schnipste Lituffs Schuhband herunter. Der rückte dicht an seine Schwester. „Tut mir leid, ehrlich.“ flüsterte er liebevoll. Doch sie antwortete nicht. Erst nach einer ganzen Weile tastete Tuffli mit ihrem Schnürsenkel nach dem ihres Bruders und umschlang ihn. Grinsend steckte sie Lituff die Zunge heraus. Der steckte seiner Schwester auch die Zunge heraus und lächelte milde. Beide hielten sich fest an den Schuhbändern, so schliefen sie bald ein.

 

„Guten Morgen die Sonne scheint, die Schule ruft, das Frühstück ist fertig.“ flötete Annas Mutter, als sie schwungvoll die Bettdecke aufschlug. „Mhm, schon aufstehen.“ Brummte Anna. Ihre Mutter öffnete das Fenster und sagte. “Na, Du willst doch nicht zu spät kommen? Das gehört sich aber nicht für Prinzessinen. Hopp, hopp aus dem Bett! Ich nehme deinen Ranzen mit hinunter.“ Sie ging aus dem Zimmer. Anna sprang aus dem Bett und nahm geschwind ihr Lieblingskleid aus dem Schrank. Natürlich, dies sah genau  aus wie das von Prinzessin Laura. Sie holte Lituff und Tuffli vom Tisch und rannte die Treppe hinunter. Anna stellte die Schuhgeschwister neben die Eingangstür zu ihrem Ranzen und verschwand im Badezimmer.

 

„Jetzt geht’s gleich los. Was wir wohl erleben werden?“ flüsterte Tuffli aufgeregt. „Endlich kann ich zeigen, was für ein toller Schuhe ich bin, wie gut ich Fußball spiele und wie stark ich bin.“ „Nein, wie gut  ich tanzen kann und wie klug ich bin.“ entgegnete Tuffli.“ Fußball!“ „Tanzen!“ „Nein, Fußball!“ Sie stritten, bis Anna vom Bad in die Küche huschte.

 

 „Mama, ich freue mich ja so, den anderen in der Schule meine neuen Schuhe zu zeigen, was die wohl sagen werden?“ Hörten die Schuhgeschwister Anna sagen. Sie beschlossen sich nicht mehr zu streiten und sich wie die besten Schuhe der Welt zu benehmen. Denn das wollten Sie ja wirklich sein.

 

Auf dem Weg zur Schule mußte sich Anna beeilen. Sie hatte beim Frühstück etwas getrödelt. Ihre Schritte wurden schnell, dann schneller, bis sie schließlich zu rennen anfing. „Ich bin schneller als Du!“ feixte Lituff, er überholte seine Schwester. „Gar nicht, ich bin schneller!“ Tuffli machte einen mächtigen Schritt. „Ich bin der schnellste Schuh der Welt! Lahme Ente, lahme Ente!“ spottete Lituff, obwohl er Mühe hatte, seine Schwester zu überholen.

 

Anna wunderte sich, es war als ob ihre Füße von allein liefen. Sie war begeistert, so schnell laufen konnte sie noch nie.

 

 Die beiden Schuhe versuchten immer wieder, sich zu übertrumpfen. Schneller, immer schneller ging es, sie zerrten so sehr an Annas Füßen, das die es bald mit der Angst zu tun bekam. „Halt, nicht so schnell! Ich kann nicht mehr! Ich will nicht mehr, anhalten!“ Plumps, da war sie auch schon hingefallen. Noch am Boden liegend hörte sie hinter sich Gelächter. Da standen drei Jungen aus ihrer Klasse, die zeigten mit Fingern auf Anna und riefen im Chor. „Prinzessin Anna kann nicht laufen, musst dir neue Schuhe kaufen, Anna, Anna, liegt im Dreck, macht sich in ihr Kleid nen Fleck!“ „Na wartet!“ dachte Anna, rappelte sich auf und wollte zu denn doofen Jungs rennen, um sich das nicht gefallen zu lassen. Doch Lituff und Tuffli stritten sich immer noch, diesmal darüber, wer an Annas Sturz Schuld sei. Lituff gab seiner Schwester die Schuld, die ihrerseits war eingeschnappt und wollte auf keinen Fall in dieselbe Richtung gehen wie ihr Bruder. So zogen beide Schuhe Annas Füße in entgegengesetzte Richtungen. Schon fiel sie wieder hin. “Baby, Anna kann nicht laufen, musst dir neue Schuhe kaufen!“ Da klingelte es gerade zum Einlass. Die Jungs rannten laut lachend in die Schule und ließen Anna einfach liegen. Sie konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Anna war wütend auf die Jungs, ihr Knie schmerzte, und ihr Lieblingskleid hatte einen großen Dreiangel. Was war nur mit ihren Füßen los, sie schienen ihr nicht mehr zu gehorchen, oder lag es daran, dass die  Schuhe zu groß waren. Nein, an den Schuhen konnte es nicht liegen, es waren doch Prinzessinnen-Laura-Schuhe. Zweifelnd zog Anna sie vorsichtshalber aus, wischte sich entschlossen die Tränen aus dem Gesicht und rannte so schnell sie konnte in ihr Klassenzimmer. Doch zu spät, die Stunde hatte schon begonnen. Schüchtern trat sie vor die Klasse. „Entschuldigung!“ Stammelte sie leise. Ihr Lehrer sah sie mitleidig an. Anna sah gar nicht aus wie eine Prinzessin, eher wie ein Häufchen Unglück. Sie hatte verheulte Augen, ihr Kleid war zerrissen, die Knie schmutzig. Auf Socken, die Schuhe in der Hand, stand sie da.

„Alles in Ordnung mit dir?“ fragte ihr Lehrer. Anna nickte und setzte sich auf ihren Platz. Hinter ihr in der Bank saß ein Junge. Der grinste böse. „Baby, Anna kann nicht laufen, musst Dir neue Schuhe kaufen!“ Hörte sie und fühlte wie ein Finger in ihren  Rücken piekste. Die ganze Schulstunde dachte Anna darüber nach, warum sie hingefallen war. Konnte es tatsächlich an den Schuhen gelegen haben? Sie beschloss „In der großen Pause werde ich es testen!“

 

Tuffli flüstert: “Ich glaube wir sind Schuld das Anna geweint hat!“ Lituff erwiderte entschlossen. „Ja, wir dürfen uns nicht mehr streiten. Anna soll uns doch gerne anziehen. Komm, wir versprechen uns, wir zeigen Anna das wir die besten Schuhe der Welt sind, wer zuerst zu streiten anfängt ist ein blöder Latschen.“ „Ein ganz blöder Latschen! Abgemacht!“

 

In der großen Pause zog Anna ihre Schuhe erst auf dem Schulhof an. „Gut, nun werden wir mal sehen was passiert.“ Sie machte vorsichtig die ersten Schritte. Bis jetzt ging es sich ganz normal. Mutiger lief Anna quer über den Schulhof zu ihren Freundinnen, die standen, wie immer, am Fußballplatz und lästerten über die Jungs. Anna konnte auch jetzt nichts Ungewöhnliches fühlen. Sie wurde von ihren Klassenkameradinnen  bewundert wegen ihrer Prinzessinnen-Laura-Schuhe und da das Kleid zerrissen war, bedauert. Den Verdacht, dass mit ihren schönen himmelblauen, lackledernen Schuhen etwas nicht stimmen könnte, behielt sie aber lieber für sich. Die Jungs aus ihrer Klasse kamen auf den Fußballplatz und begannen Ball zu spielen. Die Mädchen beschlossen Laurenzia zu tanzen. Anna achtete genau darauf, was ihre Füße machten, bis jetzt tanzte es sich ganz normal. Aber dann, plötzlich, fing ihr rechter Fuß an nicht mehr zu gehorchen, erst zuckte er, dann zerrte er. Es machte Mühe, ihn so zu bewegen, wie Anna es wollte.

 

Lituff wollte Fußball spielen, Tuffli wollte tanzen.

„Hör auf zu zappeln. Benimm dich endlich wie ein Prinzessinnen-Laura-Schuh.“ Fuhr Tuffli ihren Bruder an. „Ach ja, wie benimmt sich denn ein Prinzessinnen-Laura-Schuh?“ „Na bestimmt spielt er kein Fußball, Prinzessinnen tanzen und sind elegant! „Tanzen, blöder Mädchenkram, ich will Fußballspielen!“ Schimpfte Lituff.

 „Blöder Jungskram, Du bist ein dummer Latsch!“ Tuffli tanzte weiter. „Selber!“  Lituff machte wütend einen großen Schritt in Richtung Fußballplatz. Das konnte nicht gut gehen. Der Rechte Schuh zog Annas Fuß zu den Jungs, der Linke folgte den Tanzschritten der Mädchen. Anna versuchte verzweifelt das Gleichgewicht zu halten, doch alle Anstrengung half nichts. Sie stürzte zu Boden. Die Mädchen lachten Anna aus, auch die Jungs, durch das Gelächter der Mädchen aufmerksam geworden, lachten. Anna saß am Boden und schämte sich, am liebsten wollte sie im Erdboden versinken. Als schließlich alle im Chor riefen:        „Baby Anna kann nicht laufen muss sich neue Schuhe kaufen, Anna, Anna liegt im Dreck macht sich in ihr Kleid nen Fleck!“ wurde sie so wütend, dass sie ohne ein Wort aufstand. Sie ließ ihre spottenden Klassenkameraden hinter sich, nahm ihren Schulranzen und verließ mit erhobenem Kopf, würdevoll wie eine Prinzessin den Schulhof. Aber gleich hinter dem Schultor kamen ihr, vor Wut und Enttäuschung, die Tränen. Nun war sie sich sicher, mit den schönen neuen Schuhen stimmte etwas nicht. Anna setzte sich auf  die Bank der Bushaltestelle, zog die Schuhe aus und ging, auf Socken, nach Hause. Mit jedem ihrer Schritte wurde sie wütender.

Zu Hause angekommen warf Anna die Haustür hinter sich ins Schloss. Die Mutter rief aus der Küche „Kind, bist du das? Ist die Schule schon aus, was ist passiert?“ Noch mit den Schuhen in der Hand rannte Anna in die Küche und fiel ihrer Mutter in die Arme. „Alles nur wegen dieser dummen Schuhe!“ „Nun erzähl erst mal, was ist denn passiert.“ Anna erzählte. „Tut’s noch weh?“ „Nein, aber mein Kleid.“ „Ach das ist nicht so schlimm das kann ich nähen. Und deine Schuhe? Lass mich mal sehen.“ Nur widerwillig zog Anna die Schuhe an, ihre Mutter ertastete den großen Zeh. „Na, kein Wunder, dass Du in denen nicht laufen kannst, die sind ja viel zu groß. Am besten, Du stellst sie erst mal weg. In den Schuhschrank.“ Anna zog Tuffli und Lituff wütend aus „Euch will ich nie wieder anziehen, ihr blöden Latschen!“ und stopfte sie unsanft in den Schuhschrank. Zurück in der Küche sagte ihre Mutter: “Sei nicht traurig, da bist Du schnell rein gewachsen. Wirst sehen, dann sind das die besten Schuhe der Welt.“ „Gut dann wachse ich jetzt gaaanz schnell und wenn dann die Schuhe passen und mein Kleid wieder ganz ist, dann bin ich genau so wie Prinzessin Laura.“

 

„Alles nur wegen dir!“ Wetterte Lituff und knuffte seine Schwester. „Hast du gehört, Anna hat gesagt, sie will uns nie wieder anziehen, du blöder Latsch!“ „Nee, du bist Schuld, wenn sie uns nicht mehr anziehen will, wir sind Prinzessinnen-Schuhe, und die spielen keinen Fußball!“ „Blöder Mädchenkram!“ entgegnete Lituff kleinlaut. “Haltet Ruhe, ihr unwissendes Schuhwerk!“ tönte eine alte, heisere Stimme aus der dunklen Tiefe des Schuhschrankes. “Wisst ihr denn nicht was mit Schuhen geschieht, die sich streiten?“ „Wer ist da?“ fragte Lituff ängstlich.  “Die werden nicht mehr angezogen und wisst ihr, was mit Schuhen geschieht, die nicht angezogen werden?“ rief die Stimme unheimlich. Tuffli drückte sich voller Angst an ihren Bruder, der nahm allen Mut zusammen und sagte fordernd „Wir haben keine Angst, zeig Dich endlich!“ In den Lichtschein, der durch einen Spalt in den Schuhschrank drang, trat aus dem Dunkel ein alter Hauspantoffel. Die beiden Schuhgeschwister atmeten laut auf, als sie sahen, dass diese unheimliche Stimme nur einem alten ausgelatschtem Pantoffel gehörte. “Die holt ein Monster. Ein schuhfressendes Monster!“ ergänzte er in dramatischen Tonfall. Und alle Schuhe im Schrank murmelten: „Haltet Ruhe, das Monster frisst streitende Schuhe!“ „Mein Name ist Pantynius, - der Weise.“ fügte er bedeutend hinzu. “Schuhfressende Monster gibt es doch nicht wirklich, oder?“ traute sich Tuffli leise zu fragen. „Ach ihr junges Schuhwerk, ich habe das Schuhfressende Ungeheuer gesehen, ein Monster, am ganzen Körper beharrt mit furchteinflössenden  Reißzähnen und  einem übelriechenden Atem, der einem Tränen in die Augen treibt!“

“Du hast es wirklich gesehen?“ Eingeschüchtert wandte sich Lituff an Pantynius. „Ach, ihr ungläubiges Schuhwerk, hört nun also meine tragische Geschichte!“ „Hört genau zu, sonst ist es mit euch aus, im Nu!“ drohte der Chor der Schuhe, als Pantynius zu erzählen begann. „Als junger Hauspantoffel hatte ich einen Bruder, mit dem ich in ewigen Streit darüber lag, wer der wärmendste, der weichste, der gutaussehendste, bequemste und der am liebsten angezogene von uns beiden sei. Eine Zeit war alles gut, bis wir nur noch im Schuhschrank standen, und nicht wussten, warum. Wir stritten heftiger denn je, wer Schuld sei, dass wir nicht mehr getragen wurden. Eines furchtbaren Tages öffnete sich der Schrank und etwas mit langem braunen Fell, Schlappohren und riesigen scharfen Reißzähen, steckte seinen grausigen Kopf herein: das Schuhfressende Ungeheuer. Die anderen Schuhe wollten uns warnen, doch vor lauter Streiterei hörten wir sie nicht rufen. Ehe ich mich versah, packte das Monster meinen Bruder, schleuderte ihn durch die Luft und begann ihn zu zerfetzen. Genüsslich nagte es an ihm, solange bis ein Mensch kam, der mit fester Stimme rief: „Walter, pfui, aus Walter, aus!“ Das Monster flüchtete, aber dann schloss sich der Schuhschrank und  ich  blieb allein zurück. Seit dem habe ich nie wieder etwas von meinem Bruder gehört oder gesehen. Das geschieht, wenn Schuhe sich streiten!“ „Lernt aus dieser Geschichte, sonst macht euch das Monster zunichte!“ wisperte der Schuhchor. „Seit dieser Zeit lebe ich einsam als Einzelschuh, gut versteckt in der dunkelsten Ecke des Schuhschrankes, ständig in Angst, ein Mensch könnte mich entdecken!“ „Wieso, was machen denn die Menschen mit Einzelschuhen?“ fragte Lituff eingeschüchtert. „Das ist eine andere -  furchtbare Geschichte, die erzähle ich euch später.“ sprach Pantynius und zog sich ins Dunkel des Schuhschrankes zurück.

 „Wir wollen uns nie mehr streiten, wir dürfen keine ungetragenen Schuhe werden! Versprich es!“ flehte Tuffli, voller Angst. „Versprochen, und ich werde aufpassen, dass dir nichts geschieht!“ Lituff schlang seine Schuhbänder beschützend um seine Schwester. Tuffli hatte große Angst aber Lituff hielt sie ganz fest.

 “Kinder, lasst euch nur nicht bange machen von dem alten Pantoffel!“ sprach eine entschlossene Stimme leise. Sie kam von einem Paar eleganter halbhoher Damenstiefel “Ihr müsst wissen, seit sein Bruder verschwunden ist, ist Pantynius etwas wunderlich geworden, denn das schlimmste für ein Paar Schuhe ist ja, wenn sie getrennt werden.“ Die beiden Damenstiefel, die Sala und Amander hießen, erzählten, sie seien selbst  einmal dem schuhfressenden Monster begegnet und hätten es gemeinsam in die Flucht geschlagen. Tuffli war von soviel Mut beeindruckt und wollte alle Einzelheiten der Geschichte erfahren. Doch da erklang Pantynius Stimme einschüchternd. “Oh ihr gutgläubiges Schuhwerk, lasst euch nicht in Sicherheit wiegen von diesen Lügengeschichten, niemand kann eine Begegnung mit dem schuhfressenden Monster überleben, schon gar nicht so schmächtige Damenstiefelchen, ja selbst robuste Männerstiefel könnten das Ungeheuer niemals besiegen.“ und der Schuhchor raunte „Glaubt ihnen nicht, Pantynius allein die Wahrheit spricht!“ Da plötzlich öffnete sich der Schuhschrank, zwei große Menschenhände näherten sich den Schwestern, Sala und Amander, ergriffen sie und nahmen sie aus dem Schrank. Sala konnten gerade noch rufen:     “Eure Unterschiede machen Euch stark, vergesst das nicht.“ da war der Schuhschrank auch schon wieder geschlossen. “Jetzt geht es den beiden an den Kragen, jetzt ist es um sie geschehen, das Monster wird sie holen!“ flüsterte Pantynius.

Die Zeit verging. Schuhe wurden aus dem Schrank genommen und wieder hineingestellt, Herrenschuhe, Damenschuhe, Schuhe mit hohen und mit flachen Absätzen, Schnürschuhe und Schuhe mit Klettverschluss. Ängstlich warteten Lituff und Tuffli, was mit ihnen geschehen würde, sie warteten auch, dass Sala und Amander wiederkehrten, aber sie blieben verschwunden. Über Salas letzten Worte: „Eure Unterschiede machen Euch stark“ dachte Tuffli lange nach. Lituff sagte nur: “Alles quatsch, Mädchen können doch ein schuhfressendes Monster nicht besiegen!“  „Ich glaube den beiden, die sind schlau!“ „Du, Dir kann man wohl jeden Bären aufbinden, schlau sein nutzt gar nichts, da muss man stark sein!“ ärgerte sich Lituff. „Du bist ein blöder Latsch, du verstehst ja gar nichts!“ „Du bist selber ein blöder Latsch und ein Mädchen!“ „Haltet ein ihr streitendes Schuhwerk, wollt ihr, das euch das  furchtbare Monster frisst!“ Pantynius Stimme dröhnte laut und der Schuhchor raunte: “Haltet Ruhe, das Monster holt streitende Schuhe!“ Und wieder einmal versprachen sich Lituff und Tuffli nicht mehr zu streiten.

 Pantynius erzählte noch viele Geschichten: von einem verwaisten Einzelschuh, dem auf geheimnisvolle Weise der Andere abhanden gekommen war, der nun fast wahnsinnig vor Einsamkeit, sich selbst dem Schuhfressenden Monster opferte. Oder von Schuhpaaren, die auf mysteriöse Weise getrennt wurden, von Menschen die bald darauf den verstörten Übriggebliebenen aus dem Schrank nahmen und beide auf ewig verschwunden blieben. Pantynius spekulierte, dass auch diese Schuhe letztendlich vom Monster gefressen wurden.

 Jedes Mal, wenn der Schrank geöffnet wurde rückten alle Schuhpaare ängstlich zusammen, Pantynius drückte sich in eine dunkle Ecke. Tuffli und Lituff  hofften Anna würde sie holen, um sie anzuziehen, wenn bloß das Monster nicht auftauchte, um sie zu fressen.

 

„Mama darf ich mich schick machen, wenn Oma gleich kommt, darf ich mein Lieblingskleid und meine Prinzessinnen Schuhe anziehen? Vielleicht passen sie ja schon!“ rief Anna laut, als sie vor ihrem geöffneten Kleiderschrank stand. „Wenn du mit Walter im Garten toben willst, zieh lieber deine alte Hose an.“ Ihre Mutter kochte gerade in der Küche Kaffee und schnitt den selbstgebackenen Kuchen auf. Anna nahm Tuffli und Lituff aus dem Schuhschrank im Flur und stürmte mit ihnen in die Küche. „Ach Mama, Oma hat sie doch noch nicht gesehen, meine neuen Schuhe mit dem Kleid. Bitte!?“ „Ja, ja, magst du Kuchen kosten?“ Anna machte ihren Mund weit auf und ließ sich von ihrer Mutter ein Stückchen Kuchen in den Mund stecken. “Willst du deine Prinzessinnen-Laura-Schuhe die ganze Zeit in der Hand behalten? Stell sie in den Flur neben meine Halbstiefel.

 

 Lituff und Tuffli konnten es kaum glauben, die beiden Halbstiefel neben denen sie jetzt standen, waren Sala und Amander. Die Freude über das unerwartete Wiedersehen war groß. Denn Tuffli und Lituff dachten, die beiden Schuhschwestern seien schon lange von dem grausamen Monster gefressen worden und sie würden die beiden nie mehr wieder sehen. Aber wenn Sala und Amander  nicht gefressen wurden, vielleicht werden sie es ja auch nicht, ja vielleicht  wartete sogar eine wunderschöne Zukunft auf sie, zusammen mit Anna.

 

Kaum hatte Anna ihre Schuhe abgestellt, da  klingelte es an der Tür. „Oma, Oma, Oma ist da!“ Anna rannte zur Tür, machte sie auf und fiel ihrer Oma direkt in die Arme. „Meine Prinzessin, nicht so stürmisch, du rennst mich ja um, lass dich erst mal ansehen, bist du groß geworden, dabei ist es doch erst ein paar Wochen her das ich dich das letzte mal gesehen habe.“ Da drängelte sich auch schon Omas Dackel herein und bellte aufgeregt. „Oma darf ich mit Walter im Garten spielen bis wir essen?“ „Nun lass uns erst mal reinkommen.“ sagte Annas Vater, der hinter ihrer Oma stand. “Und wer deckt dann den Tisch ?“ „ Ach Junge, nun lass sie doch, Walter freut sich doch schon so, ich in meinem Alter kann doch nicht  mehr mit ihm toben.“ sagte Annas Oma. „Nun lauf schon.“ „Komm Walter schnell, in den Garten, komm!“  Anna tobte den Flur hinunter, an der Küche und am Bad vorbei, durchs Wohnzimmer über die Terrasse in den Garten. Und Walter stürmte freudig bellend hinterher. Nur als er an Lituff und Tuffli vorbeilief, blieb er kurz stehen, drehte sich um und schnüffelte kurz an den beiden. Mit einem heftigen Niesen rannte er weiter, hinter Anna her.

Wenn Du wissen möchtest, wie die Geschichte weiter geht, kannst Du sie als Ebook, in verschiedenen Shops (wie: neobooks, eBay, Thalia, Weltbild, Amazon, der Club, Buchhandlung 7 Morgen, Ravensbuch, jpc, books.google.de, ebook.de, u.a.) (für 1,49€) erwerben.